Vom Alltäglichen zum Politischen


Montag, 07. November 2022, Waldeckische Landeszeitung

MONTAGSINTERVIEW Friedolin Müller freut sich auf Kabarett-Abend in Korbach

VON LUTZ BENSELER

Das Kabarettisten-Duo "Das Geld liegt auf der Fensterbank, Marie“ mit Wiebke Eymess und Friedolin Müller ist am Samstag, 12. November, mit seinem Programm "Gleich knallt’s“ im Korbacher Bürgerhaus zu erleben.

Korbach - "Gleich knallts" heißt das aktuelle Programm: Das Kabarett-Duo "Das Geld liegt auf der Fensterbank, Marie“ tritt am 12. November im Korbacher Bürgerhaus auf. Im Interview spricht Friedolin Müller - der männliche Part an der Seite von Wiebke Eymess - über Paare auf der Bühne, Landliebe und Landfrust und Humor in schwierigen Zeiten.

Als Erstes müssen wir klären, wer ist Marie und warum liegt das Geld auf der Fensterbank?

Es gibt ja keine Marie bei uns, deswegen ist es erst mal ein langer Quatschname. Er geht aber zurück auf ein Wanderlied von Kurt Tucholsky, aus dem sich eine Redewendung entwickelt hat: "Gute Nacht Marie, das Geld liegt auf der Fensterbank.“ Das heißt soviel wie: Der Letzte macht das Licht aus - eine Art ungute Zukunftsahnung. Aber der Name muss nicht unbedingt etwas bedeuten, er ist einfach wie ein langer Titel einer Band. Er fällt auf und Zeitungsleute mögen ihn oft nicht, weil er in keine Ãœberschrift passt. Insofern haben wir den Namen manchmal bereut, meistens aber nicht, weil jeder merkt ihn sich und erinnert sich auch nach fünf Jahren noch daran.

Sie sind ein Paar auf der Bühne und im Leben. Ist das eher ein unerschöpflicher Quell der Inspiration oder ein Hemmnis?

Wir haben am Anfang auf der Bühne gar nicht thematisiert, dass wir ein Paar auch im Leben sind, haben aber irgendwann gemerkt, dass das Quatsch ist: Die Leute fragen sich das eh, wenn ein Mann und eine Frau auf der Bühne stehen, in welchem Verhältnis beide zueinander stehen. Deshalb war es auch eine Frage der Authentizität, dass wir es auch auf der Bühne erzählen. Was aber nicht heißt, dass wir unser Leben auf die Bühne bringen.

Sondern?

Die "Grunddaten“, die wir auf der Bühne verhandeln, die stimmen schon. Wir machen aber ganz unterschiedliche Dinge auf der Bühne, vom Gedicht über das Lied bis hin zu Dialogen. Die Texte beginnen oft mit ganz alltäglichen Dingen und haben dann doch eine gesellschaftspolitische oder politische Bedeutung - wobei ich uns den Stempel "politisches Kabarett“ nicht geben würde. Aber in manchen Nummern sind wir politischer, als mancher, der sich diesen Stempel gibt. Der Unterschied ist vielleicht, dass wir vom Privaten aufs Politische kommen und nicht andersrum. Manche Kabarettisten reden gerne über Politiker, die Gags drehen sich am Ende aber um Handhaltungen, Dekolletégrößen und dass - überspitzt gesagt -Politiker dumm sind. Da kommt man vom Politischen auf den Stammtisch oder aufs Private, wir machen es eher andersrum.

Sind die klassischen Mann-Frau-Geschichten also eher eine Plattform, um zu ganz anderen Themen zu gelangen?

Das ist richtig. Wer zu uns kommt und einen Pärchenabend erwartet, der kriegt auch etwas, aber er muss dann auch ein paar Mal schlucken. Wir machen schon einen Unterhaltungsabend, aber wir nennen es ganz bewusst Kabarett und nicht Comedy.

Welche Themen sind ihnen dabei wichtig?

Wir hatten vor gut zehn Jahren schon Themen wie Nachhaltigkeit, Klimawandel und Ernährung im Programm. Das sind Themen, die jetzt im Mainstream angekommen sind, sodass die Menschen bei unseren alten Nummern jetzt denken: Ach, wie aktuell. An diesen Themen kratzen wir immer wieder. Letztlich geht es uns darum, was der Konsument machen und ändern kann. Die Leute müssen aber keine Angst haben, dass sie Zeigefinger-Vorträge von uns bekommen, dass sie unbedingt Veganer werden müssen.

Das Landleben ist eines ihrer Themen - sie selbst sind eigentlich Stadtkinder, aber dann aufs Land gezogen. Wo trifft Landlust auf Landfrust?

Wir kommen eigentlich aus Hannover, sind aber vor sechs, sieben Jahren aufs Land gezogen. Jetzt wohnen wir richtig auf dem Dorf mit 800 Einwohnern. Ich will das gar nicht schwarz-weiß malen, wir sind zufrieden. Aber es gibt schon Punkte, in denen ein großer Kontrast besteht zwischen dem Bild, das in der Zeitschrift "Landlust“ vermittelt wird, und dem wie es wirklich ist: Kiesgärten, Kirschlorbeer und Mais für die Biogasanlagen. Wir hatten vorher bei uns im Innenhof in Hannover mehr Tierarten als anfangs in unserem Garten auf dem Land. Die Tiere mussten erst wiederkommen.

Die Pandemie war eine schwierige Zeit für viele Künstler, Sie haben das kreativ genutzt und einen Corona-Blog geschrieben, der sehr gut angekommen ist. Was hat die Menschen da so angesprochen, wo haben sie sich wiedergefunden?

Auf einmal hatten ganz viele Menschen dasselbe Schicksal: Büromenschen, Arbeiter und auch die Künstler - alle saßen zu Hause. Das ergab eine große Fläche für Identifikation. Und wir saßen mit zwei Schulkindern zu Hause, eine Herausforderung, die wir mit Millionen geteilt haben. Am Anfang war es ein Blog im Internet, den wir schnell auf andere Themen ausgeweitet haben, daraus ist dann die Radio-Comedy "So ist Familie“ für SWR3 geworden, die es bis heute gibt.

Die Zeiten sind weiter schwierig, braucht man jetzt besonders viel Humor?

Es gibt auf jeden Fall kein Verbot, dass man in diesen Zeiten nicht lachen darf. Im Februar gab es unter vielen unserer Kollegen die Diskussion, ob man jetzt überhaupt auftreten darf. Da kann man natürlich gleich die Gegenfrage stellen: Und was ist mit dem Krieg im Jemen und dem Krieg in Syrien? Da sind wir auch alle weiter aufgetreten. Wo zieht man da die Grenze? In der Pandemie haben wir gemerkt, dass vielen Menschen die Kultur fehlt, dass sie einfach zum Leben gehört und dem Publikum aus dem Herzen gerissen worden ist. Die Menschen brauchen Kultur auch, wenn es einen Ukraine-Krieg gibt. Auf der anderen Seite merken wir jetzt aber : Wir haben gute Abende, aber auch Abende, an denen die Säle leer bleiben und Veranstaltungen abgesagt werden müssen. Das betrifft nicht nur uns, sondern auch die bekannten "Fernseh-Gesichter".

Wie ist die Situation aktuell?

Was die Zuschauerzahlen betrifft, geht es der Theaterlandschaft und auch der Kleinkunstlandschaft gerade am allerschlechtesten. Die Leute haben gelernt, wenn ich nicht jede Woche auf die Party und ins Theater gehe, kann ich auch ein schönes und entspanntes Leben haben und spare sogar noch Geld. Dafür gibt es sogar einen Begriff: "Jomo" - "Joy of Missing Out". Das hat keiner so schlimm erwartet. Für die nicht subventionierten Theater, die von den Eintrittsgeldern leben, ist das ein Problem: Jetzt gibt es keine Förderung mehr, die es in den Corona-Jahren 2020/2021 gab. Es geht für sie um die Frage, wie es weiter gehen soll.

Damit das in Korbach nicht passiert, die Chance auf den Werbeblock: Warum sollte man sich eine Karte für den 12. November kaufen?

Weil man von uns auf jeden Fall einen Kabarettabend bekommt, den man sonst von keinem anderen bekommt, aufgrund unserer eigenen Mischung, weil es unterhaltsam wird, aber auch anspruchsvoll. Weil gesprochen, aber auch gesungen wird, weil es sehr kurzweilig ist - und weil wir auch noch nie in Korbach waren. Man weiß ja nie, wann das nächste Mal sein wird. Es gibt Liebeslieder, verhohnepipelte Liebeslieder, in einer Nummer jongliere ich, es wird ein bunter Abend.


Wiebke Eymess und Friedolin Müller

Unter dem Namen "Das Geld liegt auf der Fensterbank, Marie“ stehen Wiebke Eymess (44) und Friedolin Müller (36) seit 2007 gemeinsam auf der Bühne. Das Paar stammt aus Hannover, lebt aber seit einigen Jahren auf dem Land und hat zwei Kinder. Das Duo ist mit zahlreichen Kleinkunstpreisen ausgezeichnet und in verschiedenen Kabarett- und Comedy-Sendungen des deutschen Fernsehens zu sehen. Unter anderem tritt das Kabarettisten-Duo auch immer wieder in der bekannten ZDF-Sendung "Die Anstalt" auf. Im Radio-Sender SWR 3 sind sie regelmäßig mit der Comedy "So ist Familie" zu hören. Die beiden gelten als urkomische Komödianten, als entwaffnend komisch bis romantisch-melancholisch, politisch-agitierend bis kalauernd versöhnlich. red


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