Freitag, 02. November 2007 - Stadthalle Korbach
Überlebenskünstler Rüdiger Nehberg (verstorben am 1. April 2020) berichtete vor 500 Zuschauern über sein Leben
Von Heike Saure
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KORBACH. Genauso fest wie sein Händedruck ist sein Glaube, die Welt ein wenig besser machen zu können. Und genau das hat Überlebenskünstler Rüdiger Nehberg mit Hilfe spektakulärer Aktionen, guten Kontakten und einer gehörigen Portion Courage in vielfacher Weise geschafft. Über seine Abenteuer und sein Engagement gegen die Verstümmelung von Frauen berichtete der so genannte Sir Vival am Mittwoch in der Korbacher Stadthalle.
Charismatisch und lebensbejahend
Man sieht ihm seine 72 Jahre nicht an. Charismatisch, agil und lebensbejahend steigt der 1935 in Bielefeld geborene Nehberg auf die Bühne und nimmt 500 Zuhörer mit auf seine fantastischen Reisen. Sein angebliches Lebensmotto "Bohlen überholen", der mit einem seiner 22 Bücher in der Bestsellerliste einen Platz vor ihm stand, bringt das Publikum zwar zum Lachen, aber jeder Zuhörer ahnt bereits zu Anfang, dass dieser Mann sich ein ganz anderes Ziel gesetzt hat.
"Hingucken, sie haben doch bezahlt", ermahnt er sein Publikum bei Dias, die ihn beim Würmeressen zeigen. Fantastische Dias begleiten seine Episoden über die Yanomami-Indianer in Brasilien, seine Touren durch die Danakil-Wüste oder seine Ãœberquerung des Atlantiks mit einem Tretboot, bei der er so seekrank war, dass er, wie er selbst sagt, für die Fische der nette Bäcker aus Hamburg war, der sie drei Mal täglich fütterte.
Bei den Dias, die Rüdiger Nehberg über sein derzeitiges Projekt geschossen hat, ziehen viele Zuschauer entsetzt die Luft ein. Nehberg gründete 2000 mit Target (englisch: Ziel) eine eigene Menschenrechtsorganisation zum Zweck, dem Wahnsinn der Genitalverstümmerlung von Mädchen und Frauen ein Ende zu setzen.
Sieben Jahre danach hält er stolz ein Banner in die Höhe, das die Verstümmelung im Namen des Korans als Sünde bezeichnet und unter Strafe stellt. Er hat es geschafft, alle höchsten Vertreter der islamischen Länder an einen Tisch zu bringen und sie von der Abschaffung der Verstümmelung zu überzeugen.
Als Nächstes macht sich Nehberg mit seiner Lebensgefährtin Annette Weber auf den Weg in die Danakil-Wüste, um mit einer von Oase zu Oase ziehenden Karawane die Botschaft auch bei den Nomaden zu verbreiten.
Werbung für die Bäckerei
Als selbstständiger Bäcker und Konditor warb Nehberg ganz nebenbei für seinen 50 Mitarbeiter zählenden Betrieb mit: "Konditorei Nehberg - es gibt Schlechtere".
Wenn man seine Geschichte kennt, kann man mit dem selben Understatement behaupten: "Weltverbesserer Nehberg - es gibt Schlechtere".
Quelle: HNA vom 2. November 2007
Abenteurer und Menschenrechtskämpfer - Rüdiger Nehberg in Korbach
Von Jörg Kleine
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KORBACH. Keine Frage: Er ist ein Meister der Selbstinszenierung. Aber er führt Gutes im Schilde - Rüdiger Nehberg. In der Korbacher Stadthalle berichtete der Ãœberlebensakrobat hart, aber herzlich aus seinem abenteuerlichen Leben. Doch er hat sich auch Ziele gesetzt, um Menschen zu helfen, Verbrechen aus der Tabuzone zu holen. Und das untermauert er mit grausamen Bildern: Kampf gegen die Genitalverstümmelung von Millionen Frauen vor allem in Afrika.
Konditormeister in Hamburg, das war Rüdiger Nehberg zu wenig. Schon als Vierjähriger war er in Bielefeld ausgebüxt und dokumentierte den Eltern seinen großen Drang nach Freiheit und Abenteuer. "Mit viel Enthusiasmus habe ich das Thema dann nach Deutschland importiert", hieß die Devise rund 25 Jahre später. Das war in den 60er-Jahren, als Nehberg "Survival" in den USA für sich entdeckte.
Der Konditormeister wurde fortan zum Überlebenstrainer und präsentierte dies in den abstrusesten Situationen. Er kletterte an der Decke in seiner Backstube, grub sich im Schlamm ein, um nur noch durch einen Strohhalm zu atmen, schlug sich mit Feuerbohren und ohne Essen durch die Wälder.
Der Überlebenskünstler
"In der Not frisst der Teufel Fliegen", hieß das plastische Motto. "Vielleicht hat man ja das Glück und hat eine Blase am Fuß", ergänzt er spöttisch. Denn dann konnte das tapfere Konditorlein gleich sieben auf einen Streich erledigen - um die Fliegen zu vertilgen.
In all der Zeit hat sich der 72-Jährige zu einem glänzenden und fesselnden Erzähler entwickelt, der das Publikum selbst über lebensbedrohliche Situationen feixen lässt. Etwa, wenn es darum ging, Wildschweine mit der Hand zu fangen. Eine Überlebens-Schülerin trug dabei schmerzhafte Wunden in der Hand davon und resümierte dann glücklich: "Das war das Allerobergeilste in meinem Leben." Nehbergs bissiger Kommentar: "Da erfuhr ich, wie einfach es ist, eine Frau restlos zufrieden zu sehen."
Kein Wunder, dass die 500 Besucher beim Dia-Vortrag in der Stadthalle in der Pause Schlange standen, um Nehbergs Bücher, Filme und Devotionalien zu ergattern - am liebsten mit Widmung. Nehberg vermarktet sich selbst äußerst geschickt. Doch nach einem Schlüsselerlebnis in Brasilien avancierte er 1980 vom Spinner mit Vogelspinne auf dem Kopf plötzlich zum Kämpfer für Menschenrechte. Er nutzte seine mediengerechten Inszenierungen, um das Schicksal der Yanomami-lndianer ins Rampenlicht zu rücken. Das scheinbar so freie Volk im entlegenen Reservat am Amazonas stand in Wahrheit vorm Genozid durch skrupellose Geschäftemacher. Mit Rückendeckung der Regierung Brasiliens war das Reservat längst durch die Claims der Goldsucher ausgebeutet worden.
Kämpfer für Menschenrecht
Den Yanomami-Indianern brachte Nehbergs Einsatz über viele Jahre Hilfe. Zum Jahrtausendwechsel steckte sich der "Vorstadtbäcker" aus Deutschland also ein neues Ziel: "Target" heißt sein Verein, der die Genitalverstümmelung von Mädchen weltweit ächtet. "Alle elf Sekunden, 8000-mal am Tag", wird das grausame Verbrechen verübt. 150 Millionen Frauen seien davon betroffen, vor allem in afrikanischen Ländern, vorwiegend im Islam, aber auch Christen. Und immer unter dem scheinheiligen Deckmantel, die Heilige Schrift fordere dies - ob Koran oder Bibel.
Nehberg schildert die Situation so drastisch, dass die Zuhörer im Stuhl innerlich wegsacken. Sechs-, siebenjährige Mädchen, manchmal schon wenige Wochen alte Babys werden unter brutaler Fessel mit Rasierklingen, dreckigen Messern oder auch nur scharfen Dosenblechen beschnitten, Körper und Seele zerstört für ein ganzes Menschenleben. Ein Drittel der Kleinkinder muss dabei sterben, andere verüben später Selbstmord aus Schmerz und Scham. Die verheerendsten Bilder zeigt Nehberg gar nicht als Dia, sondern verweist auf einen Ordner zum Anschauen an der Bühne.
Die Wüstenkarawane
Abermals hat Nehberg durch Beharrlichkeit und mediengerechte Präsentation viel erreicht. Er hielt Wüstenkonferenzen ab in Äthiopien, Mauretanien, Dschibuti, startete eine "Karawane der Hoffnung" bis in hinterste Oasen der Sahara und brachte plötzlich die weltweit führenden Großmuftis und Großscheichs bei einer Konferenz vor einem Jahr in Kairo an einen Tisch. Ergebnis: Genitalverstümmelung an Mädchen wird auch von den obersten islamischen Gelehrten und Richtern als schweres Verbrechen gebrandmarkt.
Damit ist Genitalverstümmelung keineswegs abgeschafft, das ist vor allem auch eine Frage von Bildung und Rechten. Deshalb sieht es Nehberg als Verpflichtung, die Botschaft "in alle Moscheen der Welt hinauszutragen".
Das alles bewegt Nehberg trotz seiner bald 73 Jahre so engagiert und frisch wie ehedem, als er sich als Waldmensch die 1000 Kilometer von Hamburg nach Oberstdorf längs durch die Republik schlug.
Anrüchig ist Selbstinszenierung nicht mehr, wenn es um solch hehre Ziele geht. Und deshalb gab es für Nehberg auch brandenden Applaus.
Internet: www.target-human-rights.com
Quelle: WLZ vom 2. November 2007
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